Das Beispiel eines Telekommuni­kations­unternehmens passt zwar mittlerweile eigentlich nicht mehr, weil hier das Phänomen, das vorgestellt werden soll, bei diesen Unternehmen kaum mehr auftritt. Jedoch hat gerade diese Branche Vertragstypen, die zu genau dem hier vorgestellten Fall führen und es ist für die meisten Leser dieses Beispiel leichter nachvollziehbar, als wenn wir andere Branchen mit dem hier vorgestellten Phänomen gewählt hätten. Es gibt andere Branchen, bei denen das Phänomen der hohen Kundenanzahlungen sehr stark auftritt. Allerdings müsste die Branche erst ausführlich erklärt werden, damit es verständlich wird.
|
Die in diesem Beispiel vorgestellte Situation sind sehr große Bestände an Kundenanzahlungen. Diese entstehen, wenn z. B. ein Unternehmen Prepaid-Karten verkauft und dann das gekaufte Kontingent auf der Karte bspw. im Laufe der Zeit abtelefoniert werden kann. In diesem Fall bezahlt der Kunde schon die Leistung, bevor sie überhaupt erbracht wurde. Kundenanzahlungen sind wie eine kurzfristige Verbindlichkeit zu behandeln, weil man als Unternehmer entweder noch eine Leistung zu erbringen hat, die ihn in der Zukunft auch noch Geld kosten wird, bspw. für Löhne und Gehälter, oder man das Geld dem Kunden zurückzahlen muss. Ähnliche Fälle hat man bei der Vermietung von Software-Lizenzen von Softwareanbietern, die oft über einen Zeitraum von einem Jahr gehen, im Vorfeld bezahlt werden und dann als Rechnungsabgrenzungsposten abgegrenzt werden müssen.
|
In unserem Beispiel hat das Telekommuni­kations­unternehmens ein sehr großes Anlagvermögen in Höhe von 2.400 G, bspw. ein Telefonnetz. Des Weiteren hat das Unternehmen Lagerbestände von 350 G und unterhält ein großes Logistikzentrum. Der Grund dafür ist, dass jeder neue Kunde bei einem Mobilfunkvertrag ein Handy bekommt und bei einem Internet­anschluss ein Modem. Der Wert dieser Geräte ist dabei oft höher als mehrere Monatsumsätze mit diesem Neukunden zusammengenommen. Da wir nun annehmen, dass alle Kunden nur Verträge mit Prepaid-Karten abschließen, haben wir infolge dessen sehr hohe Bestände von Kundenanzahlungen von 2.000 G. Darlehen hat das Unternehmen keine, weil es sich vollständig über die Kundenanzahlungen finanzieren kann.
|
Bei der Betrachtung der Kennzahlen in diesem Beispiel, muss man die Überlebensfähigkeit des Unternehmens in Frage stellen. Eine Liquidität 3. Grades von 38 % bzw. ein negatives Working Capital des anderthalbfachen Betrages des Umlaufvermögens geben sehr klare Warnsignale. Betrachtet man aber das gesamte Unternehmen, dann ist es sehr gut aufgestellt: Es kann sich kostenlos über die Vorauszahlungen der Kunden finanzieren, hat keine Darlehen und muss dadurch an die Banken keine Zinsen zahlen. Das sehr hohe Anlagevermögen verhindert zudem auch noch, dass neue Unternehmen schnell auftauchen können. Im Gegenteil, die hohen Investitionssummen in die Anlagen sorgen dafür, dass ein natürliches Monopol entsteht, nur sehr wenige große Unternehmen überhaupt in der Lage sind, eine Konkurrenz zu machen und dadurch das Unternehmen sogar erhöhte Preise nehmen kann. Die Vertragslaufzeit der Kunden beträgt meist ein bis zwei Jahre und es ist nur sehr schwer für die Kunden, aus diesen Verträgen herauszukommen, bzw. im Fall der Prepaid-Kunden ist ein Wechsel der Kunden zur Konkurrenz mit hohem Aufwand verbunden, weil man seine Telefonnummer meist nicht mitnehmen kann und man dann erst viele Personen und Firmen über die neue Telefonnummer informieren muss. Ein solches Unternehmen könnte jedoch Vertragsbeziehungen mit den Lieferanten mit sehr kurzen Laufzeiten abschließen. Dadurch befinden sich die Unternehmen in dieser Branche in der mit Abstand besten finanziellen Risikosituation von allen hier vorgestellten Beispielen, obwohl der Wert des Working Capitals als der mit Abstand schlechteste einzustufen ist.