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Beispiel kurze Produktionszeit: ein chemisches Unternehmen

In Branchen mit sehr kurzen Produktionszeiten oder bei der Verwendung verderb­licher Rohstoffe kann es zu Fällen sehr geringer Lagerbestände in den Firmen kommen. Gleiches gilt auch für Branchen mit intensiver Just in Time-Produktion, bei denen die Anlieferung von Bauteilen und Rohstoffen im Rhythmus der Produktion erfolgt und keine Zwischenlagerung stattfindet. Allerdings kann in diesen Branchen ein Lagerbestand an Halbfertig- und Fertigprodukten bestehen.

Bilanz – ein Unternehmen der chemischen Industrie:
Aktiva Passiva
Anlage­vermögen1 000
Umlauf­vermögen700
Vorräte50
Forderungen (LuL)200
sonstige Forderungen210
Zahlungsmittel240
  
Eigen­kapital400
Fremd­kapital1 300
Rück­stellungen350
Darlehen200
kfr. Verb. ggü. Kreditinstituten50
erhaltene Anzahlungen0
Verbindlichkeiten (LuL)100
sonstige Verbindlichkeiten600
1 7001 700

In der chemischen Industrie wird beispielsweise für die Produktion von synthetischen Fasern, Folien oder Kunststoffteilen unter anderem der Stoff Caprolactam verwendet. Dieser wird in Erdölraffinerien produziert und dann zu den verarbeitenden Unternehmen transportiert. Dieser Stoff ist ähnlich wie Kerzenwachs oder Paraffin bei normaler Umgebungstemperatur fest, schmilzt aber bei etwa 70 °C. Caprolactam wird im flüssigen Zustand bei etwa 75-90 °C, teilweise sogar von Weißrussland oder Italien, per Lkw oder Bahn nach Deutschland transportiert. In den verarbeitenden Unternehmen wird dieses Material dann in beheizten Tanks gelagert, allerdings reicht die Kapazität wegen der hohen Kosten der Lagerung meist nur etwa zwei Tage für die Produktion. Die Produktionsanlagen laufen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Wenn die Anlagen einmal abgeschaltet werden müssen, muss die gesamte Anlage einschließlich der Rohre komplett entleert und vollständig gereinigt werden. Eingesetzte Düsen werden entsorgt, weil diese nicht mit vertretbaren Aufwand reinigbar sind. Die produzierten Waren werden nach der Abkühlung relativ schnell abgeholt, so dass die gesamte Lagerzeit von der Anlieferung des Caprolactams bis zur Abholung der fertigen Waren meist nur wenige Tage dauert. Wir haben mit einer Lagerzeit von einem halben Monat gerechnet und erhalten damit einen Wert von 50 G. Als Folge reicht dem Unternehmen ein Darlehen von 200 G, weil nur sehr wenig Produktionszeit vorzufinanzieren ist.

Gewinn- und Verlustrechnung – ein Unternehmen der chemischen Industrie:
+Umsatzerlöse2 400
+Bestands­veränderungen0
=betriebliche Leistung2 400
-Materialaufwand900
-Personalaufwand1 000
-andere Aufwendungen230
-Abschreibungen200
=Betriebsergebnis (EBIT)70
-Zinsen10
=Jahresüberschuss60

In der GuV würde sich ein etwas niedrigerer Zins von 10 G, jedoch andere Aufwendungen in Höhe von 230 G ergeben, so dass auch in diesem Beispiel der Jahresüberschuss bei 60 G liegt. Diese erhöhten Aufwendungen können sich in den Frachtaufwendungen bemerkbar machen, da spezielle Tanks für den Transport notwendig sind. Zudem sind die Energieaufwendungen höher als bei anderen Unternehmen.

Nach Einschätzung von verschiedenen Autoren würden die Kennzahlen jetzt aber eine Menge Alarmsignale senden. Das Working Capital liegt bei -50 und damit bei einer Unterdeckung der kurzfristigen Verbindlichkeiten durch kurzfristige Vermögensbestandteile 7 %. Die Liquidität 3. Grades von 93 % würde sogar eine drohende Zahlungsunfähigkeit vermuten lassen. Trotzdem kann hier von einem gesunden Unternehmen auf dem Niveau der oberen Beispiele gesprochen werden.

Kennzahlen:
Working Capital-50
Net Working Capital-290
Liquidität 3. Grades93 %
 
Eigenkapitalquote24 %
Eigenkapitalrendite15 %
Gesamtkapitalredite4,7 %
Umsatzrendite2,5 %

WC / Umlauf­vermögen-7 %

Nehmen wir eine Zahlungsfrist von 30 Tagen, nach der eine Reihe von Unternehmen ihre Rechnung bezahlen, unabhängig davon, dass auf den Rechnungen meist eine Zahlungsfrist von 10 Tagen steht. Wir haben dann immer noch mindestens zwei komplette Produktionsdurchgänge von der Anlieferung des Caprolactams bis zur Lieferung der fertigen Waren an die Kunden. In dieser Zeit kann man neue Rohstoffe kaufen, produzieren, an Kunden liefern. Man bekommt dadurch teilweise schon die Rechnung von den Kunden bezahlt, bevor man überhaupt die erste Rechnung für das Caprolactam bezahlen muss. In diesem Fall täuschen die Kennzahlen ein niedrige Liquidität vor, obwohl das Unternehmen faktisch hoch liquide ist.