Beispiel lange Produktionszeit: ein Flugzeugbauer
In Branchen mit sehr langen Produktionszeiten steigt der Lagerbestand deutlich. Als Beispiel sei hier der Flugzeugbau von großen Passagiermaschinen genannt. Hier beginnt zwar gerade Boeing mit der Auslagerung vieler Produktionsschritte, allerdings werden bei Airbus immer noch sehr große Anteile in der Produktion dieser sehr komplexen und aufwendigen Produkte selbst durchgeführt. Airbus produziert die Flugzeuge dabei in verschiedenen Werken und transportiert die einzenen Teile bspw. mit dem Airbus A300-600ST Beluga von Werk zu Werk. In der Konzernbilanz ist dann der Warenbestand über alle Werke zu sehen.
Bilanz – Beispiel eines Flugzeugbauers:
Aktiva | | Passiva |
Anlagevermögen | 1 000 |
Umlaufvermögen | 1 400 |
| Vorräte | 750 | |
| Forderungen (LuL) | 200 | |
| sonstige Forderungen | 210 | |
| Zahlungsmittel | 240 | |
| | |
Eigenkapital | 400 |
Fremdkapital | 2 000 |
| Rückstellungen | 350 | |
| Darlehen | 955 | |
| kfr. Verb. ggü. Kreditinstituten | 0 | |
| erhaltene Anzahlungen | 0 | |
| Verbindlichkeiten (LuL) | 95 | |
| sonstige Verbindlichkeiten | 600 | |
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2 400 | | | 2 400 |
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Der Bau eines A320 oder eines A350 von Airbus dauert ungefähr ein halbes bis ein dreiviertel Jahr. Bei einem A380 mit Sonderausstattung kann die Bauzeit vom Einkauf der ersten Bauteile bis zur fertigen Übergabe an den Kunden auch schon einmal ein ganzes Jahr dauern. Wir rechnen mit einer Produktionslaufzeit von 7½ Monaten und kommen mit der Formel Vorräte = Umsatzerlöse ÷ 12 Monate × 7,5 Monate Produktionslaufzeit ÷ 2 auf ungefähr 750 G. Die Produktion muss in großem Maße vorfinanziert werden. Des Weiteren eigenen sich für Unternehmen mit lang andauernden Produktionszeiten eher langfristige Darlehen. Daher beträgt das Darlehen in unserem Beispiel 955 G und die kurzfristige Verbindlichkeit 0 G. Die Zinsen sind wegen des hohen Darlehensbedarfs natürlich deutlich über dem Durchschnitt. Mit den in unserem Beispiel niedrigeren anderen Aufwendung erzielen wir auch in diesem Beispiel einen Jahresüberschuss von 60 G bei einem Umsatz von 2.400 G. Auch in diesem Fall können wir von einem gesunden Unternehmen mit angemessener Finanzierung sprechen.
Gewinn- und Verlustrechnung – Beispiel eines Flugzeugbauers:
+ | Umsatzerlöse | 2 400 |
+ | Bestandsveränderungen | 0 |
= | betriebliche Leistung | 2 400 |
- | Materialaufwand | 900 |
- | Personalaufwand | 1 000 |
- | andere Aufwendungen | 150 |
- | Abschreibungen | 200 |
= | Betriebsergebnis (EBIT) | 150 |
- | Zinsen | 90 |
= | Jahresüberschuss | 60 |
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Betrachten wir uns die nachstehende Berechnung der Kennzahlen, verfehlen sie deutlich die in der Literatur empfohlenen Zielwerte. Ein Working Capital von 50 % des Umlaufvermögens bzw. eine Liquidität 3. Grades von 201 % ist ein klares Zeichen für hohe im laufenden Geschäftsbetrieb gebundene Gelder. Die Empfehlung wäre eigentlich die Reduktion der hohen Kapitalbindung.
Natürlich kann hier mit der Einführung einer schlanken Produktion oder Just-in-Time Produktion eine Menge an Kapital freigesetzt werden. Jedoch wird in dieser Branche ein sehr hohes Working Capital zum natürlichen Bild gehören, da zu den Vorräten nicht nur die Bestände im Lager, sondern auch die halbfertigen Waren gehören, die sich auf den Produktionsbändern, auf Abstellplätzen oder sonst irgendwo im Unternehmen befinden.
Kennzahlen:
Working Capital | 705 |
Net Working Capital | 465 |
Liquidität 3. Grades | 201 % |
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Eigenkapitalquote | 17 % |
Eigenkapitalrendite | 15 % |
Gesamtkapitalredite | 6 % |
Umsatzrendite | 2,5 % |
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WC / Umlaufvermögen | 50 % |
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Wenn die Unternehmen einer Branche aber ein halbes bis ein dreiviertel Jahr Produktionszeit vorfinanzieren müssen, bildet sich hier recht leicht ein natürliches Monopol. Dieses schützt diese Unternehmen wiederum auch und es lassen sich hohe Gewinne erzielen. Am Flugzeugmarkt zum Beispiel gibt es weltweit deshalb bei Passagierflugzeugen mit mehr als 100 Sitzen auch nur die Firmen Airbus und Boeing. In der Kategorie 30 bis 120 Sitze gibt es weltweit nur die Firmen ATR, Bombardier (im Eigentum von Airbus) und Embraer, sowie mit einem kleinen Marktanteil die Firmen Antonow, Suchoj, Tupolew PSC, Aviation Industry Corporation of China und Mitsubishi Aircraft Corporation. Bei einem solch übersichtlichen Markt ist das Risiko, das aus Konkurrenzdruck entsteht, gering. Diese qualitative Risikoeinschätzung gehört natürlich zur Bewertung eines Unternehmens dazu. Sie lässt sich aber kaum in Zahlen ablesen.