Im Grundsatz gilt beim Versand von Waren an einen Kunden der Mehrwertsteuersatz, der an dem Ort gilt, wo die Ware abgeschickt wird. Eine Ausnahme ist der Versand an Unternehmen im Ausland. In diesem Fall wird keine Mehrwertsteuer aufgeschlagen. Sofern aber an Privatkunden geliefert wird oder an Organisationen, die keine Vorsteuer abziehen dürfen, wie Vereine, Kleinunternehmer oder viele selbständige Berufe oder landwirtschaftliche Betriebe, ist es egal, ob die Kunden im Inland oder im Ausland sind, es ist immer die Mehrwertsteuer des Absenders aufzuschlagen.
Eine Ausnahme bildet hier die sogenannte Versandhandelsregelung oder Versandhausregelung. Befindet sich der Versender als auch der Empfänger in einem EU-Mitgliedsstaat und darf der Kunde keine Vorsteuer abziehen, wie Privatkunden, Vereine etc., und wird über alle Lieferungen in ein Land innerhalb des aktuellen Jahres bzw. des Vorjahres ein bestimmter Betrag überschritten, ist die Mehrwertsteuer aufzuschlagen, die im Land des Kunden gilt. Diese ist dann auch jeweils im Land des Kunden zu entrichten. Geregelt ist dies in § 3c UStG bzw. in Art. 3 Abs. 3 bis 7 UStG . Betrachtet wird dabei der Netto-Umsatz in ein Land und es wird für jedes Land getrennt entschieden.
Der Schweizer Unternehmer Rudolf Buche betreibt eine Confiserie in Bern. Er vertreibt unter anderem Pralinen in Geschenkpackungen über das Internet und versendet diese europaweit. Um sein Angebot zu erweitern arbeitet er mit der Café-Konditorei König in Salzburg und der Hallenser Schokoladenfabrik in Halle an der Saale zusammen. In Salzburg und Halle hat er auch jeweils eine Niederlassung, von der auch jeweils Geschenkpackungen versendet werden.
Für die Frage, welche Mehrwertsteuer zu berechnen ist, ist der Ort entscheidend, an dem der Versand beginnt (§ 3 Abs. 6 Satz 1 UStG ; § 3 Abs. 8 Satz 1 UStG bzw. Art. 7 Satz 1 Nr. b MWSTG ). Dass der Unternehmer ein Schweizer ist, ist sicherlich schön für den Unternehmer, aber für alle Sendungen von Salzburg aus gilt die ermäßigte Umsatzsteuer in Österreich von 10 % und von Halle aus die ermäßigte Umsatzsteuer in Deutschland von 7 %.
Das Unternehmen verkauft von Deutschland und Österreich aus in diesem Jahr Waren im Wert von 17 000 € nach Dänemark. Im Vorjahr waren es Waren im Wert von 16 000 €.
Die Lieferschwelle in Dänemark von 280 000 dkr., etwa 35 000 €, wurde im aktuellen und im Vorjahr nicht überschritten. Zu berechnen ist somit die Umsatzsteuer vom Ort des Versands, also von Deutschland bzw. Österreich.
Die Confiserie verkauft von Salzburg aus Pralinen im Wert von 25 000 € nach Belgien. Von Halle aus verkauft sie Geschenkpackungen mit Pralinen im Gesamtwert von 22 000 € nach Belgien.
Da es sich beim Lieferanten um ein Unternehmen, wenn auch mit mehreren Niederlassungen und in unterschiedlichen Ländern, handelt, gilt als Gesamtumsatz in Belgien ein Betrag von 47 000 €. Damit ist der belgische Schwellenwert von 35 000 € überschritten. Für die ersten 35 000 € fallen nun österreichische bzw. deutsche Umsatzsteuer an. Für die übrigen 12 000 € sind 6 % ermäßigter, belgischer Steuersatz fällig, die an das belgische Finanzamt, den Federale Overheidsdienst Financiën/ Service public fédéral Finances, zu entrichten sind. Dazu ist dann auch eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in Belgien zu beantragen.
Nach Polen wurden Pralinen in einem Gesamtwert von 52 000 € verkauft. Davon entfielen 19 000 € auf Privatpersonen und 33 000 € auf Unternehmen, die eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer haben.
In diesem Fall ist deutsche bzw. österreichische Umsatzsteuer zu berechnen. Die Versandhandelsregelung gilt nur bei Kunden, die keine Vorsteuer ziehen dürfen. Das ist zwar bei Privatkunden der Fall, bei Unternehmen mit Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aber nicht. Kleinunternehmer, die mehrwertsteuerbefreit sind, haben wiederum entweder keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder müssen die fehlende Umsatzsteuer selbst an ihr Finanzamt nachzahlen. Der Umsatz mit Privatpersonen liegt unter 160 000 zł, in etwa 35 000 €.
Der Umsatz der Confiserie betrug im vergangenen Jahr in Frankreich 2 800 €. Für das aktuelle Jahr wird auch mit einer ähnlichen Größenordnung gerechnet. In diesem Jahr wurden bisher Pralinen ausschließlich aus Salzburg im Gesamtwert von 1 000 € verkauft. Durch einen Fernsehbericht über die Confiserie im französischen Fernsehen bekommt sie unverhofft Aufmerksamkeit. Innerhalb von zwei Wochen gehen in Salzburg Bestellungen von Privatpersonen im Gesamtwert von 69 000 € ein. In Halle werden Pralinen im Gesamtwert von 55 000 € bestellt.
Der Grenzwert von 100 000 € wurde überschritten. Da für Pralinen in Frankreich der volle Mehrsteuersatz (TVA) zu zahlen ist, fällt für den überschrittenen Betrag 20 % französische Mehrwertsteuer an. Die hier angegebenen Werte wie auch die Schwellenwerte sind alle netto. Den Kunden wurden also 70 000 € netto + 7 000 € USt. von Österreich aus und 55 000 € netto + 3 850 € USt. von Deutschland aus in Rechnung gestellt. Der Gesamtumsatz brutto beträgt damit 135 850 €. Für die ersten 100 000 € fällt österreichische bzw. deutsche Umsatzsteuer an. Da die Reihenfolge der Bestellungen nicht mehr ermittelt werden kann, wird anhand des Verhältnisses aufgeteilt. 56 % des Umsatzes entfällt auf Salzburg, somit fallen auf 56 000 € 10 % ermäßigte Umsatzsteuer in Österreich an, also 5 600 €. 44 % des Umsatzes entfällt auf Halle, wodurch auf 44 000 € 7 % ermäßigte Umsatzsteuer in Deutschland fällig wird, also 3 080 €. Damit sind 108 680 € Einnahmen brutto umsatzsteuerlich geklärt. Die restlichen 27.170 € brutto werden nun Frankreich zugerechnet. Der Nettoumsatz beträgt hier nun 22 641,67 €, die französische Umsatzsteuer von 20 % somit 4 528,33 €. Dass auf den Rechnungen die österreichische bzw. deutsche und damit falsche Umsatzsteuer ausgewiesen wurde, ist dabei unerheblich. Nur wenn zuviel Umsatzsteuer ausgewiesen wurde, gilt der Wert auf der Rechnung. Man wird die fehlende Umsatzsteuer bei den Kunden auch nicht nachfordern können. Mal vom Ärger mit den Kunden abgesehen, sind Preise immer brutto auszuweisen und werden so vereinbart. Angaben über die enthaltene Umsatzsteuer sind dabei ohne Belang. Die Confiserie muss damit leben, dass aus den ursprünglich 125 000 € Umsatz 122 641,67 € geworden sind und zügig in Frankreich beim Service des Impôts des Entreprises in Noisy-le-Grand eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (TVA intracommunautaire) beantragen.
In der EU gelten nachfolgende Schwellenwerte für die Versandhandelsregelung. Es gilt immer die lokale Währungsangabe. Rechnungen ins Ausland sind jeweils zum Tag der Rechnungsstellung umzurechnen.
Land | Lieferschwelle | Betrag in etwa in € |
---|---|---|
Belgien | 35 000 EUR | |
Bulgarien | 70 000 BGN | ≈ 35 000 EUR |
Dänemark | 280 000 DKK | ≈ 35 000 EUR |
Deutschland | 100 000 EUR | |
Estland | 35 151 EUR | |
Finnland | 35 000 EUR | |
Frankreich | 100 000 EUR | |
Griechenland | 35 000 EUR | |
Großbritannien | 70 000 GBP | ≈ 100 000 EUR |
Irland | 35 000 EUR | |
Italien | 35 000 EUR | |
Kroatien | 270 000 HRK | ≈ 35 000 EUR |
Lettland | 24 000 LVL | ≈ 35 000 EUR |
Litauen | 125 000 LTL | ≈ 35 000 EUR |
Luxemburg | 100 000 EUR | |
Malta | 35 000 EUR | |
Niederlande | 100 000 EUR | |
Österreich | 35 000 EUR | |
Polen | 160 000 PLN | ≈ 35 000 EUR |
Portugal | 35 000 EUR | |
Rumänien | 118 000 RON | ≈ 35 000 EUR |
Schweden | 320 000 SEK | ≈ 35 000 EUR |
Slowakei | 35 000 EUR | |
Slowenien | 35 000 EUR | |
Spanien | 35 000 EUR | |
Tschechien | 1 140 000 CZK | ≈ 35 000 EUR |
Ungarn | 8 800 000 HUF | ≈ 35 000 EUR |
Zypern | 35 000 EUR |
Bei der Umrechnung in € ist zu beachten, dass es teilweise erhebliche Schwankungen der Wechselkurse geben kann!